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Ab wann muss ein erneutes BEM nach Abschluss eines BEM Verfahrens eingeleitet werden?

Verfasst: Montag 29. Oktober 2012, 14:33
von jochen.gust
Wenn ich ein BEM Verfahren abschliesse und der Arbeitnehmer erkrankt erneut, bin ich dann als AG verpflichtet sofort erneut ein BEM zu beginnen, da die 6 Wochen erneut überschritten wurden? Oder beginnt die 6 Wochen Frist von neuem? Oder kann der AG in einer Vereinbarung eine Art Sperrfrist vereinbaren? Gibt es dazu eine Regelung?

Ab wann muss ein erneutes BEM nach Abschluss eines BEM Verfa

Verfasst: Dienstag 13. November 2012, 12:50
von guenter.friedrich1
Hallo Herr Gust!
Diese Fragen muss man m.E. etwas auseinander pflücken:
(Wenn ich das BEM-Verfahren abschließe...)Ist das Verfahren erfolgreich beendet worden? Dann dürfte ein neues Verfahren einzuleiten sein. Es können durchaus neue Erkrankungen zugrunde liegen, die ein neues Verfahren erforderlich machen. Wenn das BEM nicht erfolgreich abgeschlossen wurde, weil man keine weiteren Maßnahmen mehr durchführen konnte/wollte, dann kann eine neue (weitere) Erkrankung dieses Gesamtergebnis kaum ändern.
Es ist in der Literatur oder Rechtsprechung noch noch nicht diskutiert worden, wann ein BEM-Angebot verbraucht ist.Hierzu ein Beispiel:
1.11.12 Erstes Anschreiben
keine Antwort des ArbN
10.11.12 Zweites Anschreiben: wenn keine Antwort, dann Ablehnung
keine Antwort, daher BEM Ende
ArbN ist aber dauerhaft erkrankt, d.h.
1.12.12 Abfrage ArbG: kein Eintrag für ArbN
1.1.13 Abfrage ArbG: Eintrag ArbN - Muss jetzt der ArbG handeln?
M.E. ja, da das Gesetz zum "Verbrauch" eines Angebotes keine Regelung trifft. Es gilt, wenn erneut 6 Wochen "AU" erfüllt sind, muss ein erneutes Anschreiben erfolgen.
Für eine Vereinbarung einer Sperrfrist gibt die Gesetzesbegründung nichts her. Allerdings steht das Verfahren unter der Überschrift "Prävention",d.h. der ArbG soll alles tun, um den Arbeitsplatz zu erhalten. Daher kann eine vertragliche Sperrfrist gegen den Gesetzeszweck verstoßen.
Mit freundlichen Grüßen
Günter Friedrich

AW: Ab wann muss ein erneutes BEM nach Abschluss eines BEM Verfahrens eingeleitet werden?

Verfasst: Dienstag 12. Juli 2016, 17:00
von albin.göbel
jochen.gust hat geschrieben:Wenn ich ein BEM Verfahren abschließe und der Arbeitnehmer erkrankt erneut, beginnt die 6 Wochen Frist von neuem? Gibt es dazu eine Regelung?
Wie oft muss ein AG einem kranken Arbeitnehmer ein BEM anbieten?

LAG Schleswig-Holstein hat mit Urteil vom 03.06.2015, 6 Sa 396/14 (nicht rkr.) entschieden, dass es durchaus eine Pflicht des Arbeitgebers gibt, dem Arbeitnehmer ein zweites BEM anzubieten. Diese Pflicht bestehe jedenfalls dann, wenn nach der DURCHFÜHRUNG oder ABLEHNUNG eines ersten BEM innerhalb eines Jahres ERNEUT Fehlzeiten von länger als sechs Wochen iSd. § 84 Abs. 2 SGB IX auftreten. Dann sei es geboten, ein erneutes BEM anzubieten. Offen gelassen BAG, Urteil vom 20.11.2014, 2 AZR 755/13, Rn. 36. Über die beim BAG anhängige Revision unter dem Aktenzeichen: 2 AZR 424/15 urteilt das BAG am 20.10.2016. Kurzinfos zu diesem Grundsatzurteil siehe hier

Die Revision wurde abgesagt. Die Parteien haben einen außergerichtlichen Vergleich geschlossen laut BAG.

jochen.gust hat geschrieben:Kann der AG in einer Vereinbarung eine Art Sperrfrist vereinbaren?
Eine "Sperrfrist" von z.B. einem Jahr gibt es nicht. Eine solche Vereinbarung wäre offensichtlich null und nichtig, also von Anfang an unwirksam, da Umgehungstatbestand. Ein BEM lässt sich weder einzelvertraglich noch z.B. durch Betriebsvereinbarungen oder Abreden einschränken bzw. ausschließen. Personalverwaltungen, die sich weigern, vor Ablauf von zwölf Monaten nach dem letzten Gespräch wieder ein neues BEM anzubieten, obwohl erneut Fehlzeiten von mehr als sechs Wochen auftreten, handeln i.d.R. willkürlich mangels Rechtsgrundlage.

Kontextlink:
Diskussion vom 08.04.2016

Viele Grüße
Albin Göbel

AW: Ab wann muss ein erneutes BEM nach Abschluss eines BEM Verfahrens eingeleitet werden?

Verfasst: Dienstag 20. Juni 2017, 16:00
von albin.göbel
jochen.gust hat geschrieben:... eine Art Sperrfrist?
Zur Rechtsfrage eines erneuten BEM vergl. LAG Mainz vom 10.01.2017, 8 Sa 359/16, Rn. 34/37, mit stichhaltiger Begründung:

"Hingegen enthält der Wortlaut keinen An­halts­punkt dafür, dass in § 84 Abs. 2 SGB IX eine Art Ausschlussfrist bei Durch­füh­rung eines BEM für ein Jahr normiert wird. Erst Recht fehlt es an einen An­knüpfungs­punkt für eine Jahresfrist zur Durchführung des BEM. Denn es heißt in § 84 Abs. 2 SGB IX weder 'klärt der Ar­beit­ge­ber ein­ma­li­g innerhalb eines Jahres' noch 'klärt der Ar­beit­ge­ber binnen eines Jahres ab 6-wö­chiger Arbeitsunfähigkeit'." (Rn. 37)

Viele Grüße
Albin Göbel

AW: Ab wann muss ein erneutes BEM nach Abschluss eines BEM Verfahrens eingeleitet werden?

Verfasst: Samstag 2. September 2017, 18:40
von albin.göbel
jochen.gust hat geschrieben:Kann der AG in einer Vereinbarung eine Art Sperrfrist vereinbaren?
Nein, kann er nicht vereinbaren: Auch nicht durch eine Gesamtbetriebsvereinbarung oder Integrationsvereinbarung, da abschließend in § 84 Abs. 2 SGB IX normiert, wann BEM anzubieten ist. Vgl. (abweichend von ArbG Frankfurt) zum neuerlichen BEM-Verfahren nach Abbruch/Ab­lehnung­ eines BEM m.w.N. im zweiten Anlauf*) LAG Hessen, Urteil vom 17.02.2017, 14 Sa 690/16, wie folgt:

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
"Die Ablehnung eines BEM in der Ver­gan­gen­heit durch einen Arbeitnehmer ist daher nur so lange relevant, bis sich in einem Zeitraum von maximal 365 Tagen aber­mals Fehlzeiten in im § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX genannten Umfang angesammelt haben. Die neuen Ar­beits­unfähig­keitszei­ten können nämlich die Haltung des Arbeitnehmers zum BEM ändern. Die Ablehnungsgründe können überholt oder entfallen sein (LAG Schleswig-Holstein 3. Juni 2015 - 6 Sa 396/14 - Juris).

Unterstellt man einen relevanten Ab­bruch des BEM durch den Kläger im März 2012, hätte die Beklagte dem Kläger damit bereits im März 2013 erneut ein BEM anbieten müssen, da dieser allein im Jahr 2012 82 Arbeitstage krank war. Nichts anderes ergibt sich im Übrigen aus der von der Beklagten vorgelegten Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung. Hiernach hat der Arbeitgeber eine Kontaktaufnahme zum Zweck der Durchführung des BEM nach einer entsprechenden Ab­lehnung des Arbeitnehmers lediglich bezogen auf das Kalenderjahr der Ab­lehnung zu un­ter­las­sen."


Viele Grüße
Albin Göbel

..................
*) Die Entscheidung der 11. Kammer des LAG Hessen vom 26.11.2015 war zuvor vom BAG, 19.05.2016, 2 AZB 21/16, aus rein formalen prozessrechtlichen Gründen aufgehoben wor­den, weil sich das LAG Hessen da zuviel Zeit gelassen hatte mit seinem Urteilstext … Vergl. bspw. zum absoluten Revisionsgrund nach § 547 Nr. 6 ZPO u.a. auch hier: „Das nach 5 Monaten immer noch nicht mit Gründen versehene Urteil“

AW: Ab wann muss ein erneutes BEM nach Abschluss eines BEM Verfahrens eingeleitet werden?

Verfasst: Montag 4. September 2017, 17:45
von jada.wasi
"Gesamtbetriebsvereinbarung. Hiernach hat der Arbeitgeber eine Kontaktaufnahme zum Zweck der Durchführung des BEM nach einer entsprechenden Ablehnung des Arbeitnehmers lediglich bezogen auf das Kalenderjahr der Ablehnung zu unterlassen."

Hallo zusammen,
folgt denn nicht aus diesem Urteil, dass durch Betriebsvereinbarung wirksam vereinbart werden kann, dass ggf. der Arbeitgeber für einen bestimmten Zeitraum "Kontaktaufnahme zum Zweck der Durchführung des BEM zu unterlassen" hat, auch wenn seit BEM-Abbruch erneut über sechs Wochen AU angefallen sind?

Gruß
Jada Wasi

AW: Ab wann muss ein erneutes BEM nach Abschluss eines BEM Verfahrens eingeleitet werden?

Verfasst: Montag 4. September 2017, 19:18
von albin.göbel
jada.wasi hat geschrieben:Kontaktaufnahme zu unterlassen?
Nein, das hat er nicht zu unterlassen, auch wenn etwas Gegenteiliges in Be­triebs­ver­ein­ba­rung stehen sollte, weil der An­wen­dungs­be­reich von sechs Wochen in § 84 Abs. 1 Satz 1 SGB IX zwingende Norm ist.
Leitsatz: Ein BEM ist im Zeitablauf wie­der­holt durchzuführen oder dem Betroffenen jedenfalls neu anzubieten, sofern die ge­setz­li­chen Voraussetzungen erneut erfüllt sind
(LAG Düsseldorf, 20.10.2016, 13 Sa 356/16).

Die in § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX fest­ge­leg­ten gesetzlichen Voraussetzungen für ein BEM sind zwingend vorgegeben. Sie sind einer Ausgestaltung durch die Be­triebs­par­tei­en nicht zugänglich. Ein der Mitbestimmung des Betriebsrats zu­gäng­li­cher Spielraum besteht daher insoweit nicht. Den Betriebspartnern ist es daher verwehrt, insoweit Einschränkungen und damit etwas abweichendes zu regeln. Das ist keine Verfahrensfrage, sondern eine Frage der Voraussetzungen eines BEM. Im­mer dann, wenn ein Ge­setz be­reits ei­ne ab­sch­ließen­de Re­ge­lung enthält wie bei diesen BEM-Voraussetzungen, kann der Be­triebs­rat vom Ar­beit­ge­ber kei­ne davon abweichende Be­triebs­ver­ein­ba­rung ver­lan­gen (vgl. BAG, 13.03.2012, 1 ABR 78/10).

Die vom LAG Hessen erwähnte Rahmenvereinbarung / In­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung aus 2007 sind nach diesen Kri­te­ri­en dem­nach in diesem Punkt klar unwirksam. Das LAG ist leider nicht darauf eingegangen, obwohl naheliegend.

Anmerkung: Prof. Dr. Kohte, in
jurisPR-ArbR 11/2018 Anm. 2

Viele Grüße
Albin Göbel