Helena hat geschrieben:Müssen wir warten bis seitens der Mitarbeiter ein Antrag gestellt wird?
Verpflichtung des Arbeitgebers
Nein, nicht warten! Eines Antrags bedarf es natürlich nicht. Diese sbM wissen ja vielfach auch gar nichts voneinander und von ihrer Zahl. Denn eine Schwerbehinderung sieht man einem anderen i.d.R. nicht unbedingt an. Das weiß neben dem Arbeitgeber der „Inklusionsbeauftragte“, der BR/PR, das
Integrationsamt, welches bei Bedarf gerne und fachkundig berät. SBV-Wahlen bedürfen weder eines Antrags noch der Genehmigung des Arbeitgebers, sondern z.B. einer Einladung zur Wahlversammlung nach
§ 19 Abs. 2 SchwbVWO. Der
Arbeitgeber ist verpflichtet laut h.M, den Betriebsrat zu informieren nach
§ 163 Abs. 1 Satz 3 SGB IX, sofern noch nicht geschehen – damit dieser bspw. seiner gesetzlichen Hinwirkungspflicht bei der SBV-Wahl nachkommen kann.
Hinwirkungspflicht
Es besteht hier explizit eine generelle bundesgesetzliche
Verpflichtung des Betriebsrats / Personalrats, auf diese Wahlen
hinzuwirken (ggf. auch in enger
Kooperation mit dem/der Inklusionsbeauftragten), zum Beispiel durch die Einladung zu einer Wahlversammlung gemäß
§ 19 der SchwbVWO. So sagt es ausdrücklich der letzte Halbsatz des
§ 176 SGB IX
("sie wirken auf die Wahl hin") Näheres dazu z.B. in den DVfR-
Beiträgen vom Juni und Juli 2018, sowie Anmerkung von Prof. Dr.
Kohte. Ausführlich Prof.
Düwell, in
LPK-SGB IX, § 176 Rn. 2/19 und § 177 Rn. 22, wonach der § 176 Satz 2
letzter Halbsatz SGB IX seit 1986
keine bloße Soll-Vorschrift (mehr) ist, sondern vielmehr verbindlicher zwingender bundesrechtlicher Gesetzesbefehl nach ganz h.M. Ebenso zu Recht auch das BIH-Fachlexikon, Stichwort
“Betriebsrat“, wonach dieser verpflichtet ist, auf SBV-Wahlen hinzuwirken („hat er auf die Wahl der SBV hinzuwirken“); a.A. bzw. widersprüchlich und klar abzulehnen BIH-Fachlexikon, Stichwort
Wahl der SBV, wonach vorgeblich Soll-Vorschrift (statt richtig Muss-Vorschrift).
Mindestvoraussetzungen
Entgegen dem
BIH-WahlNAVI haben auch die drei sbM, die zur Wahlversammlung einladen wollen gemäß
§ 19 Abs. 2 SchwbVWO, Anspruch auf die Namen der wahlberechtigten sbM nach Prof.
Düwell, LPK-SGB IX, § 177 Rn. 74. Ist u.a. nötig, damit alle gesetzlichen bzw. wahlordnungsrechtlichen Mindestvoraussetzungen für die SBV-Wahl einschließlich akt. Wahlberechtigungen von den drei einladungswilligen aktiven Wahlberechtigten -
eigenständig - geprüft werden können. Diese haben bspw. zu klären, ob und wer etwa
blind ist bzw. wer kein deutscher
Muttersprachler ist (also Aushang nicht lesen oder nicht verstehen kann), um diese ggf. ergänzend behinderungsgerecht bzw. „in geeigneter Weise“ einzuladen i.S.d.
§ 19 Abs. 1 SGB IX. Für diese Auslegung spricht auch
Art. 5. Abs. 3 UN-BRK zu
„angemessenen Vorkehrungen“. Vergleiche zur Definition auch
§ 7 Abs. 2 BGG.
Sollte SBV-Stufenvertretung existieren (z.B. GSBV), wäre diese allerdings nicht befugt, eine SBV-Wahl einzuleiten (
Cramer, SchwbG, 5. Aufl. 1998, § 27 Rn. 8 am Ende) – entgegen Einzelmeinungen in der Fachliteratur. So auch
ArbG Stuttgart vom 26.01.2021, 7 BVGa 1/21, mit Anm.
Düwell, Behindertenrecht,
br 1/2021, Seite 5 bis 8.
christian.vedder hat geschrieben:verpflichtet ist niemand ...
Das sieht die Bundesregierung
, und der Bundestag, der Bundesrat und das Schrifttum offenbar anders bezüglich der Hinwirkung auf die SBV-Wahl: So schon ausdrücklich die amtlichen „Gesetzesmaterialien“ zum SchwbG-ÄndG 1986, in
BT-Drucksache 10/3138 vom 03.04.1985, Seite 21 / 22 (also seit Jahrzehnten!) wie folgt im Wortlaut:
Rechtsänderung 1986
BT-Drucksache 10/3138 (Gesetzesbegründung)
„In vielen Betrieben und Dienststellen ist bisher noch kein Vertrauensmann gewählt worden, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen für die Wahl eines Vertrauensmannes gegeben sind. Die bisherige „Sollvorschrift" des letzten Halbsatzes wird nicht selten als unverbindlich verstanden. Die
Änderung verpflichtet daher die kollektive Interessenvertretung, auf die Wahl eines Vertrauensmannes hinzuwirken.“ Demnach kein Ermessen gemäß dem § 176 SGB IX,
sondern verpflichtendes gesetzliches Gebot auch nach wörtlicher, grammatischer sowie historischer Auslegung lt. amtl. Gesetzesbegründung 1985, wonach der Betriebsrat/ Personalrat auf die SBV-Wahl hinzuwirken hat.
Der Imperativ (Befehlsformen!)
An dieser „bindenden Verpflichtung“ ändert auch nichts die gewählte
grammatische Form des
imperativen Präsens:
sie wirken auf die Wahl der Schwerbehindertenvertretung hin. Siehe grundl. Prof. Dr.
Joussen,
LPK-SGB IX, § 1 Rn. 16 mit Verweis in Fußnote 7 auf den Bericht des BT-Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 04.04.2001 zu der „Klarstellung“ zum „
imperativen Präsens“ zu § 81 BT-Drs.
14/5800 – Seite 30:
„Die im Übrigen gewählte Form des imperativen Präsens ändert nichts an den sich aus den Regelungen ergebenden Verpflichtungen“ Ebenso ist’s auch hier nach allen gängigen juristischen Auslegungsmethoden. Folglich klare BR/PR-Hinwirkungspflichten!
Der imperative Präsens
Ferner auch Handbuch der Rechtsförmlichkeit des BMJ, Teil B, Abschnitt 1.5,
Rn. 83 – (
BAnz. vom 22.10.2008) – zu den „Befehlsformen“:
„Die Verpflichtung kann auch mit dem imperativen Präsens ausgedrückt werden.“ ➔
Kurzvideo
Viele Grüße
Albin Göbel