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Arbeitsrecht

Verfasst: Mittwoch 18. Mai 2016, 10:33
von frieder
Guten Tag,
Ich bin gerade dabei mir eine Ausbildungsstelle zu suchen und habe laut einem ärztlichen Gutachten einen noch nicht amtlich festgestellten GdB von mehr als 60.
Ich bin mir jedoch sehr unsicher darüber, ob es mir nicht zum Nachteil gereicht, wenn ich bei der Ausbildungsplatzsuche meine Schwerbehrinderung bekannt mache.
Aus disem Grund zögere ich noch einen Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft zu stellen.

Deshalb meine Frage:
Bin ich als Inhaberin eines Schwerbehindertenausweises gegenüber dem Arbeitsgeber/ Ausbildungsbetrieb verpflichtet meine Schwerbehinderung anzugeben?

AW: Arbeitsrecht

Verfasst: Mittwoch 18. Mai 2016, 10:58
von CVedder
Hallo Frieder,

dazu besteht keine Verpflichtung, es sei denn Sie können den Arbeitsplatz bzw. Ausbildungsplatz aufgrund der Behinderung überhaupt nicht ausfüllen. Beispiel: Beinamputiert und Gerüstbauer.

Hier der Auszug aus unserem Lexikon:
Offenbarung der Schwerbehinderung

Der schwerbehinderte Mensch ist grundsätzlich nicht verpflichtet, für ihn ungünstige Umstände von sich aus mitzuteilen. So ist weder ein behinderter Mensch noch ein schwerbehinderter Mensch von sich aus verpflichtet, seine Schwerbehinderung oder Behinderung im Vorstellungsgespräch oder in seiner Bewerbung auf eine Arbeitsstelle zu offenbaren.

Eine Offenbarungspflicht besteht allerdings dann, wenn der schwerbehinderte Bewerber erkennen muss, dass er aufgrund seiner Behinderung die von ihm geforderte Arbeit nicht erbringen kann oder seine Behinderung eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit mit sich bringt, die für den vorgesehenen Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung ist.

Seit der Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes hat der Gesetzgeber ein ausdrückliches Diskriminierungsverbot für behinderte und schwerbehinderte Menschen normiert (§ 81 Abs.2 SGB IX i.V.m. § 7 AGG). In Bezug auf das Fragerecht des Arbeitgebers gilt, dass die Frage nach einer Schwerbehinderung grundsätzlich unzulässig ist. Wird die Frage dennoch gestellt, muss sie nicht wahrheitsgemäß beantwortet werden („Recht zur Lüge“). Der Arbeitgeber kann den Arbeitsvertrag aufgrund der unwahren Antwort nicht anfechten.

Ist eine bestimmte körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eine entscheidende Voraussetzung für einen konkreten Arbeitsplatz, so darf der Arbeitgeber fragen, ob der Bewerber an gesundheitlichen, seelischen oder anderen Beeinträchtigungen leidet, durch die er für die Erfüllung der von ihm erwarteten arbeitsvertraglichen Pflichten ungeeignet ist. Wenn diese Voraussetzung nicht gegeben ist, so ist die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft unzulässig und stellt eine unmittelbare Diskriminierung dar.


Grüße
Christian Vedder

AW: Arbeitsrecht

Verfasst: Mittwoch 18. Mai 2016, 23:26
von frieder
Vielen Dank Christian Vedder für die fundierte Auskunft!
Grüße
Frieder

AW: Arbeitsrecht - Offenbarung bei Bewerbungen?

Verfasst: Samstag 16. Juli 2016, 14:00
von albin.göbel
Frieder hat geschrieben:Bin ich gegenüber dem Ausbildungsbetrieb verpflichtet, meine Schwerbehinderung anzugeben?
Der Einschätzung von Christian Vedder ist zuzustimmen: Gegenteilige amtliche höchst fragwürdige und seit vielen vielen Jahren völlig veraltete "Merkblätter" von einzelnen Arbeitsagenturen im Internet sind durch Rechtsänderung 2001 bzw. 2006 sowie durch die Rechtsprechung längst überholt und irreführend. Vergleiche dazu ausführlich mit Urteilsübersicht z.B. die Diskussion vom März 2016 hier im B­IH-Forum.

Gegen ein generelles uneingeschränktes Fragerecht im Einstellungsverfahren jetzt auch Bundesarbeitsgericht 2011 und 2014 wie folgt:

"Eine Pflicht zur Offenbarung der Schwerbehinderung schon bei einer Bewerbung besteht grundsätzlich nicht, ebenso wenig wie ein grundsätzliches Fragerecht des Arbeitgebers."
BAG, 18.09.2014, 8 AZR 759/13, Rn. 40

Ebenso schon BAG, 13.10.2011, 8 AZR 608/10, Rn 43, mit weiteren Nachweisen, wonach gerade die Nachfrage nach einer tä­tig­keits­neu­tra­len Schwerbehinderung ein Indz für eine un­mit­tel­ba­re oder mittelbare Ver­fah­rens­dis­krimi­nie­rung sein könne.

Viele Grüße
Albin Göbel

AW: Arbeitsrecht - Absage wegen Behinderung?

Verfasst: Montag 19. September 2016, 20:00
von albin.göbel
Frieder hat geschrieben:Ich bin mir jedoch sehr unsicher darüber, ob es mir nicht zum Nachteil gereicht, wenn ich bei der Ausbildungsplatzsuche meine Schwerbehrinderung bekannt mache.
Ein Feldexperiment zum Verhalten
gegenüber behinderten Bewerbern


Die Autorin Linda Sprenger stellt ein Feld­experiment zum Verhalten gegenüber Menschen mit Behinderungen im Bewerbungsprozess vor. Ziel des Experiments war die Untersuchung (76 Unternehmen) mögl. Diskriminierung in Bewerbungsprozessen in Deutschland. Im Zentrum steht die Frage, inwieweit sich der Hinweis auf das Vorliegen einer Behinderung nachteilig im Auswahlverfahren auswirkt.

Der Untersuchung liegen gegenüberstellend je zwei Bewerbungen von Studentinnen mit vergleichbaren Qualifikationen sowie vergleichbarem Anschreiben und Foto an 76 Unternehmen zugrunde, wobei eine der beiden Bewerberinnen ihre Sehbehinderung im Anschreiben erwähnt und eine nicht.

Ergebnis der Studie:
Unter den beiden Bewerberinnen ergibt sich daraus das Chancenverhältnis von über 20. Dies bedeutet, dass die Chance der nicht-behinderten Bewerberin, eine positive Reaktion zu erhalten, über 20 Mal höher ist als die Chance der behinderten Bewerberin. Anders gesagt verringerte das Erwähnen der Behinderung in der Stichprobe die Chance, eine positive Reaktion zu erhalten um über 95 %.

Von den 32 Unternehmen der Nettostichprobe haben 11 Unternehmen (34 %) sowohl auf die behinderte als auch die nicht-behinderte Bewerberin positiv reagiert. 19 Unternehmen (59 %) haben ausschließlich die nicht-behinderte Bewerberin mit einer positiven Rückmeldung kontaktiert und zwei Unternehmen (6 %) ausschließlich die behinderte Bewerberin.
(Fachbeitrag D34-2016, reha-recht.de)

Viele Grüße
Albin Göbel