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Müssen Vorstellungsgespräche wiederholt werden, wenn ein Bewerber erst im Gespräch seine Schwerbehinderung bekannt gibt

Verfasst: Dienstag 20. Februar 2024, 15:53
von Melanie Haber
Hallo liebes Forum, wenn keine Bewerbung mit offensichtlicher Angabe eines GbB abgegeben wurde und die Vorstellungsgespräche somit ohne Einbindung SBV stattfinden, sich aber ein Bewerber im Vorstellungsgespräch als Bewerber mit Schwerbehinderung zu erkennen gibt, muss dann alles nochmal mit Beteiligung der SBV wiederholt werden? Gibt es hierzu ein Urteil oder Gesetz? Die Frage kam heute in der Personalratssitzung. Aus meiner Schulung vom Integrationsamt (bin stv. Schwerbehindertenvertretung) habe ich die Info, dass dann nochmal alle Gespräche nachgeholt werden müssen im Sinne des AGG mit der SBV. Leider fehlen mir die Notizen hierzu.

Müssen Vorstellungsgespräche wiederholt werden, wenn Bewerber erst im Gespräch Schwerbehinderung bekannt gibt?

Verfasst: Dienstag 20. Februar 2024, 21:45
von jada.wasi
Melanie Haber hat geschrieben: Dienstag 20. Februar 2024, 15:53 Aus meiner Schulung vom Integrationsamt (bin stv. SBV) habe ich die Info, dass dann nochmal alle Gespräche nachgeholt werden müssen …
Hallo Melanie,

selbstverständlich muss nichts wiederholt werden,
weil dies alleine diesem Bewerber zuzurechnen ist:


Sehe das nicht so pauschal, womöglich Missverständnis? Eine neue Terminierung als Anspruch halte ich für ziemlich gewagt und ausgeschlossen – für weit überzogen! Dieses Versäumnis (Verspätung) geht zu Lasten des sbM. Weder dem Arbeitgeber noch den anderen Bewerbern wäre dies zumutbar: Das hat dieser billigend in Kauf genommen!

Offenbart sich Bewerber/in erst im lfd. Vorstellungsgespräch als schwerbehindert, empfiehlt es sich, kurz zu unterbrechen und zu versuchen, die SBV zu kontaktieren und ihr die wei­te­re Teilnahme anheim zu stellen. Ergo: Ab dem Zeitpunkt des "Outings" als schwerbehinderter Mensch sind die be­son­de­ren Verfahrensvorschriften nach Teil 3 SGB IX zu beachten

Natürlich muss bei der Konstellation nicht alles wiederholt werden, da insoweit m.E. klare „Verwirkung“. Evt kommt ja noch Reaktion eines mitlesenden Integrationsamts mit nä­herer bzw. weiterer Begründung. Gruß Jada Wasi

Re: Müssen Vorstellungsgespräche wiederholt werden, wenn ein Bewerber erst im Gespräch seine Schwerbehinderung bekannt g

Verfasst: Dienstag 20. Februar 2024, 22:33
von Melanie Haber
Vielen Dank für deine Ausführung. Das hört sich auch nachvollziehbar an. Trotzdem würde mir hier die Vergleichbarkeit mit dem anderen
Kandidaten fehlen. Außer wie du schreibst, dass er das mit der späten Bekanntgabe verwirkt hätte. Bin gespannt, ob es weitere Infos dazu noch gibt. Bis jetzt hatten wir das erst 1 x und dort haben wir es mit dem Personalrat abgesprochen und abgestimmt.

Re: Müssen Vorstellungsgespräche wiederholt werden, wenn ein Bewerber erst im Gespräch seine Schwerbehinderung bekannt g

Verfasst: Mittwoch 21. Februar 2024, 11:14
von CVedder
Hallo Frau Haber,

mir ist keine Rechtsgrundlage bzw. Rechtssprechung dazu bekannt, welche die Aussage aus Ihrer Schulung stützt. Bitte fragen Sie doch mal unmittelbar beim dortigen Referenten nach und posten Sie hier dazu.
Unstrittig ist, das wer Rechte aus dem Status als schwerbehinderter Mensch in Anspruch nehmen möchte, zuerst den Nachweis dazu abliefern muss. Das hat hier nicht stattgefunden, ich unterstelle mal bewusst. Leider ist es häufig immer noch so, dass Bewerbungen ohne SB Status eine vielfach bessere Chance erfahren. Von daher ist es für mich absolut nachvollziehbar, wenn sich man sich gegen ein frühes Outing entscheidet.

Wie jada.wasi zu recht ausführt, ist ab dem Bekanntwerden Teil 3 SGB IX in den Blick zu nehmen. Dazu gehört dann auch die Beteiligung der SBV, wenn dies der Bewerber/die Bewerberin nicht ablehnen.

Um einem möglichen Diskriminierungvorwurf nach dem AGG vorsorglich entgegen zu treten, empfiehlt es sich ab Bekanntwerden dringend alle weiteren Schritte/Entscheidungen unter Beteiligung der SBV zu treffen.

Viele Grüße
Christian Vedder

Re: Müssen Vorstellungsgespräche wiederholt werden, wenn ein Bewerber erst im Gespräch seine Schwerbehinderung bekannt g

Verfasst: Mittwoch 21. Februar 2024, 11:26
von matthias.günther
Hallo,

ein Ersatztermin muss laut BAG nur angeboten werden (Urteil vom 23.11.2023, 8 AZR 164/22), wenn
1. der schwerbehinderte Mensch seine Verhinderung vor der Durchführung des Termins unter Angabe eines hinreichend gewichtigen Grundes mitgeteilt hat und
2. dem Arbeitgeber bei Vornahme einer Gesamtschau das Anbieten eines Ersatztermins in zeitlicher und organisatorischer Hinsicht zumutbar ist.
Hieraus würde ich durchaus den Schluss ziehen, auch wenn die Konstellation etwas anders ist, dass im Falle einer Offenbarung der SB-Eigenschaft erst im Vorstellungsgespräch nichts für den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens und Wiederholung spricht. Der Bewerber hat mE eine Bringschuld, wenn er will, dass die SBV beteiligt werden soll.

Ein Abbruch und Wiederholung käme wohl nur in Frage, wenn der AG die SBV trotz vorliegender Bewerbungen von sbM nicht beteiligt und dem Bewerber das Fehlen der SBV im Vorstellungsgespräch auffällt.

VG aus dem IntA Chemnitz

Re: Müssen Vorstellungsgespräche wiederholt werden, wenn ein Bewerber erst im Gespräch seine Schwerbehinderung bekannt g

Verfasst: Mittwoch 21. Februar 2024, 11:37
von CVedder
Und hier geht es zum Urteil https://openjur.de/u/2480822.html

Danke und Grüße in Richtung Chemnitz

Christian Vedder

Re: Müssen Vorstellungsgespräche wiederholt werden, wenn ein Bewerber erst im Gespräch seine Schwerbehinderung bekannt g

Verfasst: Mittwoch 21. Februar 2024, 13:56
von Melanie Haber
Danke an alle. Ich nehme Kontakt zum Integrationsamt auf und bitte nochmal um Stellungnahme der Info aus der Schulung.

Müssen Vorstellungsgespräche wiederholt werden, wenn Bewerber erst im Gespräch Schwerbehinderung bekannt gibt?

Verfasst: Mittwoch 21. Februar 2024, 15:22
von jada.wasi
Melanie Haber hat geschrieben: Dienstag 20. Februar 2024, 22:33 Trotzdem würde mir hier die Vergleichbarkeit mit den anderen Kandidaten fehlen.
Richtig. Hier wäre ggf eine vergleichende Stellungnahme der SBV allenfalls laut Aktenlage (Bewerbungsunterlagen) möglich, weil diese Schwerbehinderung verspätet geltend gemacht vom Bewerber. Daher kann eine „Wiederholung“ nicht erwartet sowie nicht verlangt werden vom Bewerber. Diskriminierend ist das daher m.E. nicht. Die Gel­tend­ma­chung ist sog. „Bring­schuld“ laut BAG – wie ja schon von Matthias Günther oben klargestellt – weil nicht nach einer Schwerbehinderung gefragt werden darf Dieser Zug ist in­soweit längst ab­ge­fahren Mehr zum Thema ganz oben im Suchfeld mit dem Begriff Ersatztermin“. Gruß Jada Wasi

Re: Müssen Vorstellungsgespräche wiederholt werden, wenn ein Bewerber erst im Gespräch seine Schwerbehinderung bekannt g

Verfasst: Montag 4. März 2024, 12:37
von Melanie Haber
Ich habe mich nochmal mit dem Berater unseres zuständigen Integrationsamtes kurzgeschlossen und unsere SBV und der Personalrat sind so verblieben, wie hier auch schon mehrfach geschrieben: Sobald sich ein Bewerber im Vorstellungsgespräch "outet" wird das Gespräch kurz gestoppt und versucht die SBV einzubinden. Alle zurückliegenden Gespräche sollen via kurzer Stellungnahme transparent und vergleichbar gemacht werden. Für nachfolgende Gespräche ist die SBV mit an Bord.
Ich finde das einen sehr guten Kompromiss für alle Beteiligten und kein unnötiger verlängerter Prozess in den Vorstellungsgesprächen.