dpolg-bayer hat geschrieben:Nach meiner Vorstellung könnte 1 Unterstützer entweder alle 3 Wahlvorschläge mit je 1 Kandidaten oder alternativ den Wahlvorschlag mit 2 Kandidaten plus 1 Wahlvorschlag mit 1 Kandidaten unterschreiben In beiden Fällen sollten die Wahlvorschläge gültig sein, weil die unterstützte Anzahl der zu wählenden Stellvertreter nicht überschritten wird.
NEIN Dieses
geht beides nicht. Auch für die Stellvertreterwahl darf nur ein einziger Wahlvorschlagszettel von einem Wahlberechtigten unterschrieben werden und nicht mehrere. Mehr geht auch dann nicht für die SBV-Stellvertretung, wenn auf einem Wahlvorschlagszettel weniger Bewerber für die Wahl der Stellvertretung vorgeschlagen werden, als nach dem Wahlausschreiben zu wählen sind. Das wäre verbotene Mehrfachunterzeichnung laut § 6 Abs. 4 Satz 1 SchwbVWO. Ebenso zum Beispiel
Pahlen, SGB IX, § 6 SchwbVWO Rn. 3, laut Verordnungswortlaut:
Pahlen: „Hat aber der Wahlberechtigte schon einen Stellvertretervorschlag unterschrieben, kann er auch dann nicht weitere stellvertr. Mitglieder vorschlagen, wenn nur beide Vorschläge zusammen die vorgesehene Höchstzahl der stellvertretenden Mitglieder erreichen."
dpolg-bayer hat geschrieben: Würden Unterschriften gestrichen und dadurch die geforderte Mindestzahl der Unterstützer unterschritten, wäre der Wahlvorschlag dann ungültig ???
Das Fachschrifttum ist da sehr uneinheitlich und die Wahlordnung für SBV-Wahlen einerseits und für BR-Wahlen sowie die 17 Wahlordnungen für PR-Wahlen andererseits sind insoweit teilweise unterschiedlich.
Nein, meint die BIH. In der BIH-Wahlbroschüre von 2014, Abschnitt
“Nachbesserung von Wahlvorschlägen”, ist auf Seite 38 detaliert beschrieben, wie der Wahlvorstand mit (nicht unheilbar ungültigen) nachbesserungsfähigen Vorschlägen im Einzelnen zu verfahren habe und zwar spätestens nach Ablauf der Vorschlagsfrist. Besonderheit: Der Wahlvorstand hat sich bei Mehrfachunterzeichnung zunächst an die betroffenen Unterzeichner zu wenden und nicht an den Vertreter des Wahlvorschlags. Das wird leider hin und wieder von einzelnen Wahlvorständen übersehen nach der Rechtsprechung, und das macht dann solche Wahlen angreifbar, da regelmäßig wie hier ursächlich für das Wahlergebnis (vgl.
BVerwG vom 05.10.1989, 6 P 2.88, Rn. 19, zum Verfahren der
Nachbesserung von JAV-Wahlvorschlägen);
a.A. Schubert/Jerchel in Knittel, § 177 Rn. 119 für die SBV-Wahlen unter Bezug auf den Aufsatz von
Sieg, in: NZA 19/2002, Seite 1064 bis 1069;
a.A. ferner Horst
Cramer, MR a.D., SchwbG, § 6 SchWbWO, Rn. 4:
„Wahlvorschläge, die dann von weniger Wahlberechtigten als erforderlich unterzeichnet sind, sind ungültig.“ Damit ist klar erwiesen, dass gerade keine unbeabsichtigte Regelungslücke, sondern genau diese Konstellation bereits damals dem BMAS bekannt war.
Gegenansicht
Alleine eine wegen der Streichung von "Mehrfachunterschriften" hervorgerufene Unterschreitung der Mindestzahl der Stützunterschriften mache einen Wahlvorschlag nicht automatisch unheilbar ungültig (Till Sachadae, Die Wahl der Schwerbehindertenvertretung, S. 431/432;
Hohmann in Wiegand/Hohmann, SchwbVWO, Einleitung Rn. 20 und § 6 Rn.83; LPK-SGB IX, § 6 SchwbVWO Rn. 81). Denn der Vertreter eines SBV-Wahlvorschlages könne ja nicht sicher einschätzen, ob einzelne seiner Unterstützer ihre Meinung ändern und „plötzlich“ auch die Wahlvorschläge anderer Kandidaten unterschreiben – etwa wegen guter Wahlwerbung anderer Kandidaten. Für solche Mängel sei „nämlich bei betrieblichen Interessenvertretungswahlen allgemein eine
_Heilung binnen einer bestimmten Frist möglich.“ Ebenso zum förmlichen wahlordnungsrechtlichen Nachbesserungsverfahren z.B.
FKS-SGB IX, § 94 Rn. 42: „Die SchwbVWO regelt in
§§ 6 und 7 die Anforderungen an und die Behandlung von Wahlvorschlägen. Eine
Nachbesserung von Wahlvorschlägen ist in bestimmten Fällen möglich. Heilbar sind die Mängel, bei denen … die nach Streichung von Mehrfachunterschriften nach § 6 Abs. 4 SchwbVWO nicht mehr die erforderliche Anzahl von Stützunterschriften aufweisen.“; ferner
Bolwig, Handlungsanleitung zur Wahl der SBV, 6. Auflage 2014.
Analogie?
Fraglich jedoch, ob bzw. inwieweit vorstehender Literatur zu folgen und von einer "planwidrigen Regelungslücke" auszugehen ist sowie das Wahlrecht für BR/PR-Wahlen für SBV-Wahlen
analog anwendbar ist. Das wäre wohl nur dann der Fall, wenn mit erforderlicher Sicherheit von einer planwidrigen wahlordnungsrechtlichen Lücke ausgegangen werden könnte in der SchwbVWO laut ständiger Rspr. Vergleiche zu den Voraussetzungen einer Analogie zum Beispiel BAG vom 25.01.2018, 8 AZR 309/16, B II 2 und BAG 13.08.2019, 1 ABR 10/18, Rn.
33 ff. m.w.N. sowie
BVerwG 22.09.2015, 5 P 12.14, Rn
34 zur PR-Wahl zum „Analogieverbot“.
Nachbesserung analog BR/PR-Wahlen?
Ob Ansicht von Bolwig, FKS, Hohmann, Sachadae, BIH zu folgen ist und analog Wahlrecht für BR/PR-Wahlen auf SBV-Wahl übertragbar ist – ist zweifelhaft bzw. strittig. Ich sehe hier dringenden Reformbedarf der zu dem Punkt sich ausschweigenden und höchst „rudimentären“ SchwbVWO (Vgl. Rainer
Sieg, Wahl der Schwerbehindertenvertretung, NZA 19/2002, Seite 1064 [1067], der solche Nachbesserungen für SBV-Wahl ablehnt; ferner ablehnend
Cramer und
Knittel, weil nichts dergleichen in
§ 6 oder sonst in der SchwbVWO normiert ist. Dass diese SchwbVWO (zuvor SchwbWO) dazu seit jeher schweigt bedeutet mitnichten, dass der Bundesregierung bzw. BMAS alleine deswegen unbeabsichtigte Verordnungslücke zu unterstellen ist seit Jahrzehnten. Eine zB dem
§ 10 Abs. 5 Nr. 3 BPersVWO entsprechende Vorschrift zur
Nachbesserung (zu wenige Unterstützer infolge der Streichungen von Unterschriften) oder zum Beispiel
§ 8 Abs. 2 Nr. 3 WO-BetrVG enthält der
§ 6 Abs. 4 SchwbVWO insoweit eben nicht. Auch verweist SchwbVWO insoweit weder auf die
WO-BetrVG noch auf
WO-BPersVG oder
Wahlordnungen der Länder.
Rechtsprechung
Die SchwbVWO sei gemäß BAG grundsätzlich ein in sich abgeschlossenes, sowie komplettes Regelungswerk laut einer Ansicht des
BAG 20.1.2010, 7 ABR 39/08,
Rn. 25:
„Die SchwbVWO enthält hinsichtlich etwaiger Prüfungs- und
Benachrichtigungspflichten des Wahlvorstands keine planwidrige Regelungslücke, die durch die entsprechende Anwendung von Vorschriften in anderen Wahlordnungen zu schließen wäre. Die Bestimmungen der SchwbVWO stellen ein
vollständiges und in sich widerspruchsfreies Regelungswerk dar. Es ist nicht ersichtlich, dass der Verordnungsgeber die Möglichkeit unzulänglicher Wahlvorschläge übersehen hätte. Dies machen die Regelungen in
§§ 6, 7 SchwbVWO deutlich. Der analogen Anwendung von Vorschriften aus anderen Wahlordnungen steht außerdem der formalisierte Charakter derartiger Verfahrensvorschriften entgegen. Durch Wahlordnungen werden dem Wahlvorstand im Interesse der Rechtssicherheit detaillierte Vorgaben für die Durchführung der Wahl gegeben. Aufgabe des Wahlvorstands ist es dementsprechend, die maßgeblichen Verfahrensvorschriften genau zu beachten. Dagegen ist es grundsätzlich nicht seine Sache, das Regelungswerk der einschlägigen Wahlordnung durch von ihm für sinnvoll erachtete weitere Regelungen zu ergänzen. Im Übrigen wäre vorliegend auch nicht zuverlässig feststellbar, welche Vorschrift zur Ausfüllung einer etwa angenommenen Regelungslücke heranzuziehen wäre. Selbst zwischen den insoweit in erster Linie in Betracht kommenden Regelungen in
§ 7 Abs. 2 Satz 2 WO BetrVG und in
§ 10 Abs. 2 Satz 1 WO BPersVG bestehen nicht unbeträchtliche Unterschiede.“
NACHTRAG
zur Streichung von Mehrfachunterschriften:
Die BIH-Wahlbroschüre 2018 meint in Abschnitt 4.2 zur „
Nachbesserung von Wahlvorschlägen“ auf Seite 53:
„Soweit die SchwbVWO keine Regelung enthält, ist das betriebsverfassungs- oder personalvertretungsrechtliche Wahlordnungsrecht entsprechend anwendbar. Mit heilbaren Mängeln behaftet und daher nachbesserungsfähig sind im Geltungsbereich des BetrVG (§ 8
Abs. 2 WO BetrVG) die Wahlvorschläge, …die nach Streichung von Mehrfachunterschriften nach § 6 Abs. 4 SchwbVWO nicht mehr die erforderliche Anzahl von Stützunterschriften aufweisen …
Im Geltungsbereich des Personalvertretungsrechts (§ 10
Abs. 5 WO BPersVG und in den jeweiligen personalvertretungsrechtlichen Wahlordnungen der Länder) gelten entsprechende, aber teils weiter oder enger gefasste Bestimmungen.“ Das ist beides falsch, weil ja nirgends darauf verwiesen wird, wie das zu Vorzeiten im letzten Jahrhundert bis 1986 mal gewesen sein mag. Vgl. dazu
Diskussion 2018 mit Kommentar von Ministerialrat Dr. Cramer, BMAS (am Ende), wonach
„eine sinngemäße Anwendung der Vorschriften über das Wahlverfahren bei der_Wahl des Personalrats... seit dem 01.08.1986 nach Änderung durch das SchwbG-ÄndG 1986 nicht mehr vorgesehen“ ist.
Analogieverbot
BIH ist m. E. klar abzulehnen. Ist m. E. ableitbar aus BAG, 20.01.2010, 7 ABR 39/08,
Rn. 25, wonach die SchwbVWO hinsichtlich „Benachrichtigungspflichten“ des Wahlvorstands „
keine planwidrige Regelungslücke“ enthalte, die durch die „entsprechende Anwendung von Vorschriften in anderen Wahlordnungen zu schließen wäre“. Da sehe ich dringenden Änderungsbedarf der SchwbVWO durch Verordnungsgeber, damit SBV-Wahlvorschläge nicht aus rein formalen Gründen ungültig werden und nicht Wahlen „grob verfälscht“ werden. Vergleiche auch
Diskussion 2015 zum Korrekturbedarf im Wahlrecht der SBV.
FAZIT
Der Verordnungsgeber mag da nachlässig normiert haben, aber keineswegs „lückenhaft“. Denn er wusste genau, was er
_tat, und hat das alles gleichgültig bzw. billigend in Kauf genommen – nämlich „Zufallsergebnisse“. Sog. „beredtes Schweigen“ wie hier darf nicht als planwidrige Regelungslücke missverstanden werden!
Viele Grüße
Albin Göbel